...und was diese bewirken können. Eine Geschichte über Persönlichkeitsentwicklung und was es dafür braucht.
"Ich möchte gerade keine Beziehung", sagte Max Inga* am Telefon. Es ging nicht anders, denn er war für einen Job nach London gezogen. Die beiden hatten sich zwei Jahre zuvor über eine Dating-App kennengelernt und mit der Zeit hatte sich eine - wie man es heute nennt - Situationship zwischen ihnen entwickelt. "Brechen wir den Kontakt jetzt ab?", fragte Max in die Stille. Inga war zunächst zu perplex, um zu antworten. Vor ein paar Wochen erst hatten sie beschlossen, dass sie es nun trotz der Entfernung mit einem Kennenlernen versuchen würden. Vorher gab es einiges an auf und ab in ihrem Kontakt, an dem sie sicher beide ihren Anteil hatten - dass ist ja oft so im Leben. Inga musste weinen, sie war auch so erschöpft von dem emotionalen hin und her. Max verabschiedete sich daraufhin ziemlich schnell und sie blieb mit einigen inneren Fragezeichen und unausgesprochenen Dingen zurück.
Angestaute Gefühle
Als diese auch in den folgenden Wochen noch in ihrem Kopf blieben, bat sie ihn um ein klärendes Gespräch. Sie hatte ja etwas miteinander verbunden, dass sollte doch wohl möglich sein. Dachte sie. War aber nicht so. Max antwortete ziemlich kurz angebunden, dass das nichts bringe und sie einfach etwas Zeit verstreichen lassen sollte, dann würde sie es sicher ähnlich sehen wie er. Inga reagierte mit Wut, es hatte sich zu viel bei ihr angestaut. Sie ließ sie im Impuls in einer WhatsApp-Nachricht an ihn raus. Und hörte, auch nach einer folgenden Entschuldigung ihrerseits, nichts mehr von ihm.
"Wie fühlst du dich, wenn du davon erzählst?", war eine Frage in der Therapie, die sie gerade u. a. machte, da sich seit einigen Jahren Geschichten wie die mit Max in ihrem Leben wiederholten. "Resigniert", antworte sie, "und irgendwie schwer. Ich mochte ihn, auch, wenn es für mich anstrengend war. Und es hat mich total verletzt, dass er mich am Schluss so wortlos weggestoßen hat." Inga beschrieb sich selbst als eher bindungsängstlich. Die negativen Erfahrungen der letzten Jahre verstärkten dies noch. "Gefühlt tue ich immer ganz viel, um den Kontakt und die Treffen dann schön zu gestalten und toleriere dazu noch einiges an schlechtem Verhalten." Hauptsache, es würde endlich klappen mit einer Beziehung. Das tat es aber eben nicht. Bei Max war es zunächst anders herum. Zu Beginn hatte er sich ins Zeug gelegt und sie hatte ihn auf Abstand gehalten, nach ein paar Monaten bemerkte sie, dass sie ihn gut fand, hatte sich dann mehr um ihn bemüht und dazu auch das Gespräch gesucht. Ergebnis: Er versteckte sich fortan gefühlt hinter einer Mauer. Alle paar Wochen kam eine sporadische Nachricht. Einmal im Monat gab es ein Treffen. Meist bei ihr. Sie machte es mit, in der Hoffnung, dass es sich (wieder) ändern würde. Tat es aber nicht.
Einseitiges Bemühen
In der Therapie wurde ihr gespiegelt, dass es natürlich für ihr Gegenüber sehr bequem sei, wenn sie quasi alles tun würde und immer verfügbar wäre. Das zeigt sich auch (oft unbewusst) an ihrer Energie. Auf andere bindungsängstliche Menschen - sie hat Max aufgrund seiner eigenen Vorerfahrungen und seines Verhaltens als solchen wahrgenommen - wirkt das unter Umständen auch abschreckend. Der Andere sieht dann z. B. häufig nicht mehr die Notwendigkeit sich seinerseits zu bemühen. Warum auch? Ein Minimum an Aktivität reichte, um sich Inga "warm" zu halten. Vielleicht hat er sich auch unter Druck gesetzt gefühlt. Ein paar Mal hatte sie versucht, offen mit ihm darüber zu reden, aber so recht hatte das nicht geklappt. "Puh. Dabei wünsche ich mir etwas ganz anderes. Gegenseitiges Engagement und mehr Wertschätzung zum Beispiel", sagte sie. Im Verlauf der Sitzungen zeigte sich, was Inga benötigte, um bewusster zu daten und vor allem mehr bei sich zu bleiben. Auch Zeit und Geduld mit sich selbst zu haben, gehörte dazu. Was auch einschloss, dass sie sich nicht mehr so schnell auf jemanden einlassen wollte. Auch Ansagen wie "ich suche nichts festes" hat sie in der Vergangenheit öfter ausgeblendet. "Ich dachte, ich würde das schon schaffen. Damit habe ich mich aber wohl überfordert", resümierte sie. Sie übt sich nun in regelmäßigem Gewahrsein ihrer Gefühle und Körperempfindungen, um besser mitzubekommen, wie es ihr vor und nach Dates geht. Auch lernte sie ihre verschiedenen inneren Anteile kennen und nach und nach auch den Umgang mit diesen, was sie entspannter werden ließ. "Die haben ja einen Grund, warum sie da sind", sagte sie. In der Therapie machte sie sich ihre bisherigen Bindungserfahrungen bewusst, denn diese spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle. "Ich fühle mich nun sicherer. Besonders im Umgang mit mir selbst". Die Geschichte mit Max war so gesehen der berühmte Tropfen für Inga. Sie hat die Erfahrung genutzt, um genauer bei sich selbst hinzuschauen. Und zwar darauf, was, neben Max's ungünstigen Verhalten, auch ihr Anteil am Verlauf der Geschichte war, was sie dabei besonders belastet hat und wie sie künftig damit umgehen möchte. Sie lebt nun insgesamt selbstwirksamer und erkennt ihre Grenzen und Bedürfnisse sowie ihre "green" und "red flags", wie man heute so schön sagt.
Solche Veränderungen geschehen in meist nicht von heute auf morgen. Sie sind ein Prozess, der Zeit benötigt. Wie lang, dass ist individuell.
*Namen geändert und Fall verändert
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